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Samstag, 18. Februar 2012

Anspruchsvoll ? ! ?

Ich hab mal wieder lange einen dahingesagten Halbsatz in meinem Hirn hin und hergeschoben und darüber gebrütet. Beim letzten Schwangerentreff sagte jemand "Ich hab schon Angst, dass ich anspruchsvolle Aufgaben vermissen werde...! Nur noch Wickeln und Füttern und mit dem Kind alleine sein...!" Und es fühlte sich für mich zunächst an wie ein Schlag ins Gesicht. Meinem inneren Naturell folgend wurde ich spontan aufbrausend. Ich war geradezu giftig. Nahm mich aber schnell zusammen und beschloss, darüber erst mal nachzudenken.

Nun habe ich nachgedacht. Ich mag jetzt gar nicht speziell von der einen Frau sprechen, die den Satz gesagt hat, denn ich denke mal, sie hat nur das ausgeprochen, was ganz viele denken, und so langsam dämmert mir die Antwort auf eine Frage, de ich mir seit Jahren, und in den letzten Jahren mehr und mehr, stelle.

Warum geht es vielen Frauen nach der Geburt ihres Kindes so schlecht? Sie wünschen sich ein Baby, sie bekommen ein gesundes Kind, und sind trotzdem traurig, enttäuscht und unzufrieden. Gleichzeitig überfordert und ziellos.

Was ist denn eine anspruchs-volle Aufgabe? Ein Baby ist voller Ansprüche! Mehr Ansprüche, als die meisten Mütter bedienen können.

WIKIPEDIA sagt dazu:

Unter Anspruch versteht man umgangssprachlich Erwartungen, Wertvorstellungen, übernommene Normen eines Menschen bezüglich einer Sache. Man hat Anspruch an einer Sache

ein Bedürfnis mit "Anspruch" gleichzusetzen kann auch "Verwöhntsein" bedeuten.
Eine anspruchsvolle Tätigkeit ist beispielsweise mit Herausforderungen verbunden.
Anspruchsvolle Kunst bedarf eines gewissen Verständnisses (Kenntnis über Normen), um sie zu verstehen.

Eine weitere Bedeutung ist der Anspruch auf ein Tun oder Unterlassen von jemandem anderen. Gemeint ist hiermit das Recht, etwas von jemandem verlangen zu dürfen.


Mutter sein ist anspruchsvoll. Ich als Hebamme und ich als Mensch habe Ansprüche an die Mütter, dass sie wenigstens versuchen,  ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Das ist mein Job. Ich möchte dabei helfen. Unterstützen.

Und das Kind ist anspruchsvoll. Es hat Bedürfnisse, Ansprüche, und es hat das Recht, zu verlangen, dass man diesem Anspruch gerecht wird.

Die Aufgabe an sich ist anspruchsvoll. Sie ist (siehe oben) mit Herausforderungen verbunden.

Seine Aufgabe als Mutter eines Babys gut zu machen heißt für mich:

  • Das Bedürfnisse eines Babys/Kindes wahrnehmen
  • Die Bedürfnisse/Gründe für Unbehagen wie Hunger, Durst, Schmerz, Langeweile, Müdigkeit, Überforderung, Sehnsucht nach Nähe und Wärme etc unterscheiden lernen und Abhilfe schaffen
  • Falls Abhilfe nicht möglich, die Situation möglichst ohne Panik akzeptieren
  • Die eigenen Bedürfnisse erkennen, wichtig nehmen und deren Befriedigung organisieren
  • Erkennen wenn fremde oder eigene Grenzen überschritten werden und entsprechend Grenzen setzen
  • Die organisatorischen Aufgaben wie Kinderarzt, Spielgruppen, Familienfeiern koordinieren
  • Nicht neben dem Baby her sondern MIT ihm leben lernen
  • Ein gemütliches, heimeliges, geschütztes Umfeld für das Baby und die Familie schaffen
  • ... 
Im modernen Berufsleben klingt das nach hochdotiertem Management.
Im Familienleben klingt das nach: "Naja, Du bist ja nur Hausfrau!" NUR??? Euch werd ich geben! Die ersten zwei Jahre mit einem Kind sind verdammt anstrengend und es werden so viele Grundsteine für das spätere Leben des Kindes gelegt, dass ich mich mit allem was ich hab und weiss dagegen wehre, das in irgendeiner Form geringzuschätzen. Und es auch nicht zulasse, dass Ihr das tut.

Wenn Ihr es jetzt nicht schafft, Eurem Kind zu vermitteln, dass es seine Bedürfnisse wichtig nehmen darf, dass es aber auch Grenzen gibt; dass es wertvoll ist mit all seinen Eigenheiten, dass es bedingungslos geliebt wird, dass es gewollt und gewünscht ist und dass Ihr ein geniales Team seid, wird es mit jedem Jahr schwerer, diese so wichtigen, elementaren Grundlagen im Kind zu verankern.

Bitte! Welcher Job auf diesem Planeten ist anspruchsvoller? Wichtiger? Nachhaltiger?

Das, was ich jetzt geschrieben habe, ist meine tiefste innere Überzeugung. Darüber hab ich noch nie so intensiv nachgedacht, es noch nie in Worte gefasst. Aber ich habe es gelebt. Als die Kinder klein waren und ich tue das noch immer.

Und manch einer wird sich fragen, wo ist denn nun die Antwort auf die Frage?? Und auf welche Frage noch gleich?

 "Warum geht es vielen Frauen nach der Geburt ihres Kindes so schlecht? Sie wünschen sich ein Baby, sie bekommen ein gesundes Kind, und sind trotzdem traurig, enttäuscht und unzufrieden. Gleichzeitig überfordert und ziellos."


Die Antwort:
Weil sie noch nicht erkannt haben, welche wesentliche Rolle sie übernehmen und weil ihr Umfeld und ihre Erziehung ihnen suggeriert, ein Baby sei "nebenher" zu handlen und nur beizeiten zu füttern und zu wickeln. Ansonsten wünschen sie sich, nicht andauernd bei der Ausübung ihres "vorigen" Lebens "gestört" zu werden. Das kann nur schief gehen!

Und das beantwortet auch meine weitere Frage: "Warum muss alles so schnell gehen?"

... dazu aber morgen oder übermorgen mehr...

Liebe Grüße

Nicole


2 Kommentare:

  1. Gratuliere. Ein schöner und wichtiger Text.
    Als Vater kann ich das nur bejahen.
    Eine Mutter trägt das Kind unterm Herzen, nach der Geburt darin.

    Es ist natürlich auch am Vater, Partner, die Partnerin und Mutter in ihrem neuen Dasein zu stärken und zu unterstützen. Ich benutze hier absichtlich nicht den gebräuchlichen Ausdruck "Mutterrolle", denn die Mutter spielt keine Rolle. Geburt und Familie ist pures Leben.

    Meiner Meinung nach geht es in dieser Betrachtung grundsätzlich um ein Haupt-Thema unserer Zeit: Minderwertigkeitsgefühle, Selbstwert.
    Ob früher als Kind oder später im Beruf bekommt man immer wieder zu hören, dass man dies und jenes besser machen musss, das man aufpassen muss, denn man bekommt kein Vertrauen, das man nicht genügt, das man Angst hat ausgeschlossen zu werden aus dem Leben oder dem "it"-sein und in immer kürzerer Zeit immer mehr leisten soll. Der Druck wächst. Stress wächst.
    Die Frage: "Gehöre ich dazu oder gerate ich gar als Mutter zuhause in Vergessenheit? Findet das Leben ohne mich statt?" wird innerlich oft genug gestellt.

    Nein, Eltern zu sein, mit dem Kind gemeinsam aufzuwachsen, voneinander zu lernen - ja, wir können sehr viel von unseren Kindern lernen - all das ist Leben. Der Rest ist schmückendes Beiwerk und kann vom wahren Leben ablenken.

    Es ist sinnvoll, Meinungen und Forderungen anderer anzuhören, dem aber nicht unumstößliche Wertigkeit zukommen zu lassen. Dem was andere sagen zuhören, diese Ansichten mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen abgleichen, selbst entscheiden und dann erst handeln.

    Sobald wir unsere Gefühle und Bedürfnisse wieder ernst nehmen, wird ein Leben im Gleichgewicht stattfinden können. Wir können als Eltern sehr wohl gemeinsam unser Kind begleiten, ohne vom Leben abgeschnitten zu sein. Eltern sind beide. Es gibt immer einen Weg sich gegenseitig zu unterstützen, so dass Freiräume für jeden entstehen können und müssen.

    Daher: Leben wir bewusster, (ver-)trauen wir uns mehr und somit dem Leben. Sorgen wir uns nicht, das Leben sorgt für uns.

    Herzliche Grüße, Andreas

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  2. Aber vielleicht hat die gute Frau mit den "anspruchsvollen Aufgaben" auch einfach nur Aufgaben gemeint, die den Kopf fordern? Klar ist Elternsein superwichtig und klar steht man vor Herausforderungen. Aber ehrlich: Es kann zwischendurch auch mal gaaanz schön langweilig sein, so allein mit Baby oder Kleinkind. Ab und an möchte man mit den Augen rollen, wenn man wieder von der kleinen Patschehand zum Buch mit den Tieren geführt wird. "Ja, das ist die Kuh. Wie macht die Kuh? Richtig, MUUUH." Oder ein Turm aus fünf Klötzchen gebaut, wieder abgeräumt, gebaut, wieder abgeräumt wird. Natürlich ist das irgendwie süß und für die Entwicklung des Kindes wichtig. Aber eben auch zum Gähnen oder den (eigenen) Kopf an die Wand hauen, so ab der 10. oder 15. Wiederholung.

    Ich weiß, meine Hebamme im Geburtsvorbereitungskurs war ganz erstaunt, als eine werdende Mutter danach fragte, was sie zu lesen mitnehmen sollte. Man habe doch dann das Kind und sei die Ganze Zeit damit beschäftigt, das süße Wesen zu bewundern. Also ehrlich, mein süßes Wesen hat doch recht häufig (wenn auch nicht lange) geschlafen und wenn ich dann nicht sofort mitschlafen konnte, war ich ganz froh, zumindest EINE Zeitschrift mitzuhaben. Beim zweiten Kind war es dann schon ein Buch und ich habe mich irgendwann mitten in der Nacht sogar getraut, den Fernseher mit Kopfhörern anzumachen ...

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