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Mittwoch, 16. Mai 2012

Rituale... ich komm vom Hölzchen aufs Stöckchen...

Eigentlich bereite ich gerade das Team-Meeting vor, Brainstorming für die neuen Praxisräume, was man ändern kann und sollte, was es Neues geben wird, allerdings erwischte ich mich ständig dabei, wie ich versuche, ein gewisses Gerüst so stehen zu lassen, wie es im Moment ist. Erst hab ich mich dafür geschimpft. Mann, Nicole, sei doch nicht so unflexibel! Aber nun hab ich nachgedacht und bin zu dem Entschluss gekommen, dass das ein so großes Projekt ist, dass ich es mir gestatte, an gewissen Ritualen festzuhalten, um mir selber ein wenig Halt zu geben.
Seit 13 Jahren ist der Rückbildungskurs mittwochs vormittags! Und es gibt keinen Grund das zu ändern. Ich will dass er da bleibt! Punkt. Und während ich genau darüber sinnierte, fielen mir ein paar Dinge aus meiner Kindheit ein.
  • beim Metzger gabs ne Scheibe Mortadella. Immer. Eine. Nie die mit Ei. Und darauf war Verlass!
  • in der Apotheke gabs ein Traubenzucker. Einzeln in ein Zellophantütchen eingeschweisst. Zitrone, Orange oder Waldbeer.
  • Donnerstags abends gabs Biene Maja. 
  • Samstags morgens mähte mein Vater den Rasen, ich hab noch das Brummen im Ohr, und mein Opa kehrte die Strasse. Meine Mama ging nach nebenan zum "Gössl" und holte Obst und Gemüse. Wenn ich mitkam, durfte ich mir eine Banane aussuchen. 
  • Samstag mittag gabs Eintopf, Mama backte Kuchen für Sonntag, abends gabs Brotzeit mit vielen leckeren Sachen, Badewanne, dann die Samstagabend-Show! 
  • Sonntags gabs aufwändiges Essen und Nachtisch. Und abends musste ich vor dem Tatort ins Bett. Meine Mama lackierte sich die Fussnägel, ich roch den Nagellack bis in mein Zimmer. 
  • Wenn ich am Wochenende morgens aufwachte, werkelte meine Mama bereits in der Küche, ich lief barfuss zu ihr und war glücklich, dass ein Samstag wie jeder andere war. 
  • Erdbeeren gab es alljährlich erst zu Muttertag. 
  • Plätzchen und Adventsdeko gab es definitiv erst nach Totensonntag. 
  • Der Christbaum wurde am 23.12. ins Wohnzimmer gestellt und am 24. frühs geschmückt. Unter dem alljährlichen Streit um die dämliche Spitze. 
  • danach wurde das Wohnzimmer abgeschlossen.
  • am ersten Feiertag fuhren wir zu den Verwandten. Am zweiten lud meine Oma zum Essen ein. 
  • Gans. Knödel. Rotkohl. Und Salzkartoffeln - für Opa!
  • Ostereier wurden im Garten gesucht - und wenn es Katzen und Hunde regnete. 
Langweilig weil vorhersehbar? Ganz und gar nicht! Ich danke meiner Familie für diese wunderbar klaren Erinnerungen und will weiter gar nichts dazu sagen, als dass in unserer unglaublich schnellen Welt genau solche Fixpunkte unseren Kindern - und auch uns selber - Halt geben! Für immer! Sucht sie!

PS. Mir fällt gerade noch was ein. Ich musste als Kind, seit ich zwei war, recht oft in die Augenklinik. Ewiges Warten, Augentropfen, Untersuchungen, nervige Behandlungen, ... aber - jedesmal gingen meine Mama und ich ins Cafe Weimar und wir frühstückten, während diese F*** - Augentropfen wirkten und ich tagelang nur noch verschwommen sehen konnte. Und trotzdem ich diese Prozedur hasste, genoss ich die Zeit, die nur mir und meiner Mutter gehörte.

Freitag, 4. Mai 2012

Ach Du liebe Zeit...

da ist er nun, der Moment, den man als Mutter ebenso herbeisehnt wie ganz weit weg wünscht. Das erste Kind weitestgehend unfallfrei so groß gekriegt, dass man es für halbwegs überlebensfähig hält. Morgen wird mein Baby 18. Da ich aber morgen a) alle Hände voll zu tun haben werde und b) meinen Kopf frei haben muss, schreibe ich mir heute schon mal meine wehmütigen Gedanken von der Seele. Heute vor 18 Jahren hatte ich einen dicken Bauch und einen ebenso dicken Sack voller Illusionen im Kopf. Wünsche und Träume. Das meiste kam anders - das Wichtigste aber hab ich geschafft: Das Leben mit meiner Tochter immer genossen, ihr Mutter, Freundin, Seelenmülleimer, gutes und schlechtes Beispiel gewesen. Man fragt sich ja schon: Hab ich ihr alles mitgegeben, was sie braucht? Hat sie genug Bodenhaftung, um nicht abzuheben? Aber hat sie auch alles, um ihre Flügel auszuprobieren? Jemand hat mir gesagt: Du hast ihr MUT beigebracht - das ist das Wichtigste, den Rest muss sie selber lernen! Ja - und ich hab ihr beigebracht, dass man das Leben geniessen muss. Jetzt. Keiner weiss, ob wir eine nächste Chance haben. Ich habe ihr Pragmatismus vorgelebt, Offenheit und Toleranz, eine Spur von Irrsinn und kreativem Chaos, versucht ihr den Unterschied zwischen "da muss man durch" und "das muss man sich nicht antun" zu erklären, ich habe Herzenswärme, Liebe und Eis essen über geputzte Wohnung und gemähten Rasen gestellt. Ich hab ihr gezeigt, dass Frauen tapezieren, Möbel zusammenbauen, Holz stapeln, Wohnmobile bei ebay ersteigern, mit dem Rucksack und dem Zelt nach Wacken fahren, Computer, Handys und ähnliches instalieren können... ich hab ihr aber auch gezeigt, dass man 17 mal über eine dreckige Jeans steigen kann, bis man sie in die Wäsche gibt, dass Fenster erst dann geputzt werden müssen, wenn trotz scheinender Sonne Dauernebel in der Wohnung ist, dass man die Feste feiern muss wie sie fallen, nötigenfalls auf Umzugskisten sitzend, dass Freunde hier immer wilkommen sind und einen Schlafplatz bekommen, auch wenn wir keinen 4-Sterne-Comfort bieten können, dafür aber Katzen, einen warmen Ofen, handgenähte Zudecken, Nudeln oder Milchreis, Kaffee bis zum Umfallen und einen Internet-Zugang. Hier wohnen Gitarren und Bücher, Mittelalterutensilien neben Cowboystiefeln, Tarotkarten und Edelsteine, Heavy-Metal-CDs neben Countrysongs, Kochbücher und Küchenmaschinen aller Art, vom Thermomix bis zum Pizzaofen.
Ich habe versucht deutlich zu machen, dass man seinen Beruf nach seiner Leidenschaft aussuchen sollte, und nicht nach dem Gehalt. Dass man ausprobieren darf und muss und die Wege des Herrn unergründlich sind. Apropos Herr... hier mischt sich evangelischer Konfirmandenunterricht mit buddhistischen Lehren, Esoterik und biologisch belegbarer Evolution... - was nicht tragisch ist. Die absolute Wahrheit kennt ohnehin niemand. Und die schlimmsten sind die, die genau das nicht akzeptieren... aber ich schweife ab...

Sie hat eine ambulante Geburt (wo man der frischgebackenen Mutter das erste Mal Wahnsinn attestierte) Blähungen, Masern und zwei mal Zähnekriegen überlebt, Kindergarten, Grundschule und Reiterhöfe unsicher gemacht, Eifersucht wegen des kleinen Bruders durchlitten, unzählige Urlaube mit ihren Eltern überstanden, die erst an der Auffahrt Fernwald entschieden, ob es nach Oberstdorf im Allgäu oder nach St Peter Ording an der Nordsee gehen sollte, sie lernte Fahrradfahren und Schwimmen, schlug sich das Kinn auf, brach sich den Arm, verlief sich in der Stadt und verpasste den Bus. Sie quälte sich mit Liebeskummer und weiblichem Zickenkrieg, sie lernte Nudeln kochen und Kuchen backen, tanzen und Gitarre spielen, sie lernte das Leben und den Tod kennen, sich einen Job zu suchen und Auto zu fahren. Und nun ist sie groß!

Ich bin wehmütig. Aber ich bin auch stolz. Ich habe jeden einzelnen Tag mit ihr genossen! Und wir gehen auch 2050 noch zusammen auf Wacken...

KEEP ON ROCKING, MINE!